Einleitung
Geophysik im Umweltbereich ist als sehr junge Disziplin anzusehen und einschlägig kaum länger als zwanzig Jahre in Erscheinung getreten. Dazu hatte der Geophysiker kräftig um- und dazulernen müssen. Beschäftigte er sich zuvor vor allem im Teufenbereich einiger 100 m und mehrerer Kilometer bis hinab in die Tiefen von Erdmantel und Erdkern, so musste er plötzlich lernen, seine Meßmethoden und Auswerteprozeduren an den Teufenbereich weniger Dekameter und Meter anzupassen. Das ist in der Geophysik, insbesondere an Universitätsinstituten, nicht unbedingt mit Begeisterung und zunächst vielfach überhaupt nicht vollzogen worden, was bis heute nachwirkt.
Das erklärt, dass sich die Umweltgeophysik ganz wesentlich aus der erfolgs- und einnahmeorientierten Landschaft der damals plötzlich entstehenden geophysikalischen Büros und nicht selten auch von „Seiteneinsteigern“ entwickelt hat und nicht in den geophysikalischen Instituten der Universitäten gewachsen ist – ein Konflikt, der bis heute nicht völlig aus der Welt geschafft ist und zu einer immer noch vielfach umstrittenen Position der Geophysik in Rahmen der Umweltproblematik geführt hat.
Hinzu kommen vielerlei Missverständnisse. Insbesondere resultiert die umstrittene Position der Geophysik aber aus der immer wieder zu beobachtenden tiefgreifenden Unkenntnis auf Auftraggeberseite, und sie beruht gleichermaßen auf der ebenso oft zu konstatierenden schlechten, nicht akzeptablen Arbeit, die von der auftragnehmenden Geophysik im Umweltbereich vorgelegt wird. Unglücklicherweise gibt es Rückkopplungen in diesem Apparat.
Zur Bedeutung der einzelnen Verfahren im Umweltbereich
Der bereits mit der Geophysik beschäftigte Leser wird angesichts der großen Fülle verschiedenster Messverfahren bemerken, dass ihm in der Praxis, vor allem im Dienstleistungsbereich, im allgemeinen nur einige wenige Methoden begegnen. Es sind dies vor allem geoelektrische Widerstandsmessungen, recht häufig die Magnetik, auch das Bodenradar und immer einmal wieder die Refraktionsseismik. Weder aus physikalischer noch aus geologisch-geotechnischer Sicht ist das zwingend, und sicherlich ist die einfache Aussage gültig: Standardverfahren werden nur Standardsituationen gerecht. Aber gerade im komplexen Bereich der Umweltgeophysik sind Standardsituationen kaum anzutreffen, und die Beschränkung auf wenige, hergebrachte Verfahren deckt auf, dass geophysikalische Messungen in einem Großteil von Projekten nicht optimal durchgeführt werden.
Gegenwärtig ist von der nachfolgenden Klassifikation in häufig eingesetzte Standardverfahren, eher seltener eingesetzte Standardverfahren der Geophysik und in interessante Noch-nicht-Standardverfahren auszugehen.
Im Umweltbereich häufig eingesetzte Standardverfahren sind:
Refraktionsseismik | |
Geoelektrik | Widerstands-Tiefensondierung, Induzierte Polarisation IP, spektrale IP elektromagnetische Horizontalsondierung (SLINGRAM), Frequenz-EM, Impuls-EM (TDEM)Electrical Imaging (Kombination aus Tiefen- und Horizontalsondierung) |
Geomagnetik | Totalfeldmessungen mit Protonenpräzessions-Magnetometer Gradientenmessungen mit Fluxgate-Magnetometer |
Bodenradar | |
Bohrlochgeophysik | Widerstandslog (Normale, Fokussierendes Log FEL) Gamma-Log (natürliche Gammastrahlung) Temperaturlog |
Wichtige, im Umweltbereich weniger häufig eingesetzte Verfahren:
Reflexionsseismik | |
Geoelektrik | Frequenztiefensondierung Impulstiefensondierung |
VLF (Radiowellen-Methode) | |
Gravimetrie | |
Radiometrie | Gamma-Messung Gamma-Spektrometrie Radon-Messungen |
Bohrlochgeophysik | Neutron-Log Gamma-Gamma-Log Bohrloch-Magnetik Seismik-Log (Sonic-, Acoustic-Log) Bohrloch-Radar |
Für die Umweltgeophysik interessante, Noch-nicht-Standardverfahren:
Geoelektrik | Eigenpotentialmethode |
Induzierte Polarisation (komplexe Widerstandsmessungen) mise-à-la-masse-Methode Aktive Magnetotellurik (CSAMT) Radiomagnetotellurik |
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Geophysikalische Tomographie | seismische Tomographie Widerstandstomographie Radartomographie |
Bohrlochgeophysik | Rohrwellen-(Stonely-Wellen)-Seismik Bohrloch-Oberflächen-Elektromagnetik seismic televiewer |
Es ist noch einmal festzuhalten: Von den sehr vielen und sehr unterschiedlichen geophysikalischen Messmethoden werden in der Regel nur wenige Standardverfahren angeboten. Für den Bereich „Umweltgeophysik“ bedeutet das, dass geophysikalische Untersuchungsmethoden der Aufgabenstellung häufig nicht optimal angepasst sind.
Geophysik im Umweltbereich – von der Messung zur Aussage
Geophysikalische Untersuchungen bestehen grundsätzlich aus drei Schritten:
der Gewinnung von Messdaten
der Bearbeitung und physikalischen Auswertung der Daten
der geologischen, hydrogeologischen bzw. geotechnischen Interpretation.
Jeder der drei Schritte beinhaltet Fehlerquellen und Probleme.
Die Gewinnung von korrekten Messdaten erfordert eine sorgfältige Planung, zuverlässig und fehlerfrei arbeitende Messapparaturen (keineswegs selbstverständlich!) und in aller Regel einen sehr erfahrenen Geophysiker vor Ort.
Messungen im Umweltbereich müssen in sehr vielen Fällen auf problematischen Arealen mit künstlicher Bodenversiegelung, ober- und unterirdischen Versorgungsleitungen, Metallzäunen, ober- und unterirdischen Bauwerken usw. erfolgen. Nur ein erfahrener Praktiker kann abschätzen, ob und in welchem Maße Einfluss auf die Gewinnung sinnvoller Messdaten zu erwarten ist. Ein korrekt arbeitender Geophysiker wird in einigen Fällen sagen (müssen), dass von geophysikalischen Messungen unter den gebotenen Umständen abzuraten ist. Vernünftig kann der Vorschlag sein, zunächst Testmessungen vorzunehmen, um dann gegebenenfalls ein modifiziertes Konzept vorzulegen.
Der zweite Schritt, die Bearbeitung und physikalische Auswertung der Messdaten, führt gewöhnlich zu physikalischen Modellen von Verteilungen petrophysikalischer Parameter. Im einfachsten Fall kann ein solches Modell aus einem einzigen homogenen Körper (Kugel, Quader, Zylinder) bestehen, der in ein andersartiges homogenes Medium eingebettet ist. In den meisten Fällen sind die Modelle sehr viel komplexer, sowohl was die Geometrie als auch die Variationsbreite der petrophysikalischen Parameter (z.B. elektrischer Widerstand, Dichte, Magnetisierung) anbetrifft.
Eine methodische Eigenart fast jeder physikalischen Auswertung ist die Mehrdeutigkeit. Mit anderen Worten: Aus einem vorgegebenen Satz von gemessenen geophysikalischen Daten lassen sich in aller Regel mehrere, u.U. sehr viele verschiedene, physikalisch gleichwertige Modelle ableiten. Ein Extremfall ist mit unendlich vielen Lösungen beim Schwerefeld einer Kugel gegeben: Alle Kugeln mit derselben Mittelpunktslage und derselben Masse erzeugen exakt dasselbe Störfeld. Diese Mehrdeutigkeit darf niemals unter den Tisch gekehrt werden und muss gegebenenfalls dem Auftraggeber klar übermittelt werden.
Der dritte, abschließende Schritt der Interpretation, der Überführung der physikalischen Modelle in geologische, geotechnische Modelle führt zu einer weiteren Vermehrung möglicher Lösungen: Fast immer lässt sich ein physikalisches Modell durch sehr unterschiedliche geologische oder geotechnische „Bilder“ deuten. Und da sich Umweltgeophysik fast immer in einem geologischen Rahmen abspielt, sind tiefgreifende geologische Kenntnisse unverzichtbar, die entweder vom Geophysiker selbst eingebracht werden oder aus einer engen Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Geologen erwachsen müssen.
Schwerpunkt Umweltgeophysik und Deponien – Altlasten in Stichworten
Standortplanung
Klärung der geologischen (stratigraphischen, lithologischen und strukturellen) Verhältnisse
Ausbildung, Verbreitung und Mächtigkeit einer geologischen Barriere
Ausbildung, Verbreitung und Mächtigkeiten von Grundwasserleitern und Grundwassergeringleitern
Nachweis von Verwerfungen und Bruchzonen
Bewegungen des Grundwassers.
Standortplanung: Bodenradar
Mit geophysikalischen Messungen können sehr häufig bereits in der Anfangsphase der Planungen ohne große Bohrarbeiten mit relativ geringem Aufwand grundsätzliche Daten geliefert werden, die viele Diskussionen rasch überflüssig machen.
Werden Aufschlussbohrungen notwendig, ist es meist günstig, vielfach zwingend, eine vorherige Geophysik zur Reduzierung der Bohrungen und zur Optimierung der Bohransatzpunkte durchzuführen.
Bestehende Deponien
Nachweis von Existenz bzw. Nichtexistenz vermuteter Deponien
laterale Abgrenzung
Mächtigkeit, Volumen, Relief der Basis
Erkundung der Standsicherheit von Deponien
Gravimetrie auf einer Mülldeponie.
Deponie-Inhalte
Erkundung des geologischen (stratigraphischen, lithologischen, strukturellen) Rahmens
Existenz und Ausbildung einer geologischen Barriere
hydrogeologische Verhältnisse, Wasserwegsamkeiten und Bewegungen des Grundwassers
Nachweis von Existenz und Verbreitung von Emissionen
Verfüllten Steinbruch im klüftigen Kalkstein, in den neben legaler Einbringung von Abraum und Bauschutt auch illegal Industrieschlämme entsorgt wurden.- Komplexe Widerstandsmessungen – Widerstand und induzierte Polarisation, Pseudosektionen.
Beobachtungsbrunnen
Grundsätzlich anzuraten: Geophysik zur Optimierung der Lage von Beobachtungsbrunnen
Ausbaukontrolle
geophysikalisches Monitoring
Ermittlung aktueller Sickerwasserströme aus Deponien oder kontaminierten Geländeflächen
Verfahren basieren auf dem Umstand, das es im Grundwasserabstrom durch Emissionen aus dem Deponiekörper zu einer starken Ionenanreicherung kommen kann. Als Folge können sich „Fahnen“ guter bis extrem guter elektrolytischer Leitfähigkeit ausbilden, die i. a. gut mit Messverfahren der Geoelektrik nachzuweisen sind.
Industrielle und militärische Altlasten
Nachweis, Ortung, Ausdehnung, Verbreitung von Industrieablagerungen, Becken, Tanks, Fässern, Versickerungen, Versorgungsleitungen, Leckagen von Kampfmitteln, militärischen Betriebsstoffen, unterirdischen militärischen Transportsystemen und anderen Bauwerken
Magnetfeld-Messungen: Überackerte Munitionssprengtrichter mit beginnender Grundwasser-Kontamination.
Bergbau
Halden, Bauwerke, Hohlräume, Senkungsbewegungen
Grundwassergefährdung
Hilfe zur Klärung der stratigraphischen, strukturellen und lithologischen Verhältnisse
hydraulische Verhältnisse – Grundwasserstockwerke – Bewegung des Grundwassers
Optimierung von Pegeln, Beobachtungsbrunnen
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Ein Nachtrag : Umweltgeophysik – Ingenieurgeophysik
Umweltgeophysik wird häufig als Teil der sogenannten „Ingenieurgeophysik“ gesehen und genannt. Ingenieurgeophysik ist ein diffuser und im Prinzip nicht existierender, trotzdem eingebürgerter Begriff. Ingenieure betreiben in der Regel selbst keine Geophysik, und sehr viele Ingenieurbüros stehen der Geophysik eher fern. Es gibt das belegte Beispiel, dass ein leitender Ingenieur eines Büros den Begriff Geophysik und was sich damit verbindet nicht einmal kennt. Eigentlich meint Ingenieurgeophysik die oberflächennahe Geophysik als Dienstleistung, die vor allem von einschlägig tätigen Geophysik-Büros betrieben wird. In diesem Rahmen ist dann sinnvollerweise auch die Umweltgeophysik anzusiedeln.